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Wirtschaftspolitik : 15 Jahre Merkel´sche Wirtschaftspolitik
29.12.2020 12:06 (1338 x gelesen)

15 Jahre Merkel´sche Wirtschaftspolitik

Die Union stellt seit 15 Jahren mit Angela Merkel die Bundeskanzlerin: dreimal in einer Koalition mit der SPD (2005-2009, 2009-2013, 2017-2021) und einmal mit der FDP (2013-2017).

Die Bundesregierung stand in diesen Jahren wirtschaftspolitisch mehrfach vor großen Herausforderungen: durch plötzliche Wirtschaftskrisen (Banken- und Wirtschaftskrise, Staatsschuldenkrise, Corona-Pandemie) oder aufgrund politischer Megavorhaben (Energiewende, ökologische Transformation). Angela Merkel stand dabei immer im Mittelpunkt, entweder als Krisenmanagerin oder als Bundeskanzlerin. 

Die Kanzlerschaft von Angela Merkel wird voraussichtlich im Jahr 2021 enden. Man wird dann feststellen, dass sie ihrem Nachfolger kein fertiges Haus, sondern zahlreiche unerledigte Baustellen hinterlässt: Die Corona-Pandemie hat die europäische Wirtschaft erneut tief getroffen, ohne dass ein Ende absehbar ist. Gleichzeitig steigen die Staatsschulden in den südlichen Ländern mit Hilfe der EZB in Rekordhöhe. Und an Europas Grenzen grassiert die illegale Einwanderung, weil die EU sich über deren Eindämmung nicht einig ist.  

Die deutsche Wirtschaft sieht sich vor allem durch die Energiewende in ihrer Wettbewerbsfähigkeit bedroht. Der Politik gelingt es zwar, die fossilen und atomaren Energieanlagen (Atom, Stein- und Braunkohle) zügig stillzulegen, weniger erfolgreich ist die Bundesregierung jedoch beim Ausbau der benötigten Alternativen (Wind und Sonne). Es will auch nicht gelingen, mit all den klimapolitischen Anstrengungen einen nachweisbaren Beitrag zur Verminderung der Erderwärmung zu präsentieren. Sicher ist nur, dass mit der energiepolitischen Transformation die Verbraucher und die deutsche Wirtschaft erheblich belastet werden. Die derzeitigen Entlassungen in der Automobilindustrie geben einen Vorgeschmack davon, was auf die deutsche Industrie noch zukommen wird.

Es ist deshalb an der Zeit, die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung in den letzten fünfzehn Jahren auf den Prüfstand zu stellen. Es soll dabei insbesondere auch um die Frage gehen, was aus der CDU, die Konrad Adenauer und Ludwig Erhard zu ihren Gründungsvätern zählt, in dieser Zeit geworden ist.

 

  1. Politische Linksverschiebung

Als Angela Merkel 2005 Bundeskanzlerin wurde, hat Friedrich Merz vor einer „Sozialdemokratisierung“ der Union gewarnt, die bei einer Koalition mit der SPD eintreten werde. Damit hat er die Entwicklung der Union zutreffend vorausgesagt.

Schon bei den Koalitionsverhandlungen verzichtete Angela Merkel, die einen Reformwahlkampf geführt hatte, auf wichtige Reformvorhaben. Die Parteiführung und die Parteifunktionäre trugen diese Entscheidung mit. Vom Sozialflügel der Union, der die Reformbeschlüsse des Leipziger Parteitags der CDU (Gesundheitsprämie, Stufentarif bei der Einkommensteuer, Rente ab 67) heftig bekämpft hatte, gab es sogar Applaus.

Als klassische Kanzlerpartei kam es der Union darauf an, das Kanzleramt zu besetzen. Die politische Programmatik spielte demgegenüber eine nachgeordnete Rolle, und man war schnell bereit, dafür auch wichtige Positionen zu räumen. Dieses Verhaltensmuster der CDU prägte alle großen Koalitionen: die CDU stellte die Kanzlerin, und die SPD machte das Regierungsprogramm.

Der über mehrere Legislaturperioden laufende Prozess der „Sozialdemokratisierung“ gefiel wohl dem Sozialflügel der Partei, nicht aber dem liberalen Wirtschaftsflügel und der Gruppe der Konservativen, die als innerparteiliche Opposition unter Angela Merkel zunehmend an Gehör und Einfluss verloren. Der konservative Christian Wagner, früherer CDU-Fraktionsvorsitzender im Hessischen Landtag, schrieb dazu später: „Die Anpassung der eigenen aktuellen Politik an künftige Koalitionsmöglichkeiten führt in die Niederlage. Nicht ein taktisches Geschäftsmodell ist gefordert, sondern geistige Führung. Nicht dem Zeitgeist hinterherzulaufen, sondern den Zeitgeist zu prägen, muss Anspruch politischer Führung sein.“

Das gehörte aber gerade nicht zur Hauptkompetenz der CDU-Führung.

  1. Primat der Politik

Die CDU war niemals nur eine Wirtschaftspartei, aber immer auch die Partei der Wirtschaft und insbesondere die Partei der Familienunternehmer. In der Regierungszeit von Angela Merkel hat sich dies dramatisch geändert: In der marktwirtschaftlich orientierten Wirtschaft findet die CDU nur noch wenig Unterstützung.

So warf der Sachverständigenrat der Bundesrepublik der Bundesregierung in seinem Jahresgutachten 2014 vor, sie mache keine „marktwirtschaftliche Politik“. Bei der Übergabe des Gutachtens forderte der Vorsitzende des Rates, Christoph Schmidt, Angela Merkel persönlich auf, „innezuhalten und die Wirtschaftspolitik neu auszurichten“. Eine Aufbruchsstimmung habe die Koalition jedenfalls nicht erzeugt, hieß es kritisch in dem Gutachten, das sich auf einen Nenner bringen ließ: Die Bundesregierung sollte mehr auf die Marktkräfte und weniger auf Staatsinterventionen vertrauen.

Der Zorn der Wirtschaft entzündete sich vor allem an dem Koalitionsvertrag 2013, in dem es zwischen Union und SPD kaum noch Unterschiede gab. Ulrich Grillo, Präsident des BDI, zeigte sich vor allem über die vereinbarten Eingriffsreche des Staates entsetzt: „Ob feste Frauenquote für Aufsichtsräte oder gesetzliche Vorgaben für die Managementvergütung oder ein weit über internationale Gepflogenheiten hinausgehendes Unternehmensstrafrecht oder eine Verbraucherpolitik, die Verbraucherrechte einseitig zulasten der Produzenten ausweitet. Die deutsche Industrie ist zutiefst besorgt. Ordnungspolitische Fehlgriffe drohen, das Fundament unserer marktwirtschaftlichen Ordnung auszuhöhlen.“

Die Bundesregierung reagierte auf diese scharfe Kritik der Sachverständigen und der Wirtschaft mit Unwillen. Zu den prägenden Sätzen, mit denen Angela Merkel ihr Verhältnis zur Wirtschaft beschrieb, gehörte die Aussage: „Das Primat der Politik muss wieder hergestellte werden.“

Für diesen Satz erhielt sie in Regierungskreisen viel Unterstützung. Unüberhörbar wurde immer lauter gefordert, mit der Orientierung der Wirtschaft ausschließlich am Profit müsse Schluss gemacht werden. Auf gesellschaftliche Relevanz komme es an, speziell für die Wirtschaft.

In diesem Zusammenhang kam die Soziale Marktwirtschaft von zwei Seiten unter Beschuss; Sozialpolitiker kritisieren, dass in einer auf Leistung und Wettbewerb beruhenden Wirtschaft die soziale Gerechtigkeit und auch die internationale Solidarität unter die Räder kommen. Sie verlangten mehr Sozialleistungen und bessere Schutzgesetze.

Zugleich warf eine wachsende Gruppe von Ökologen und Weltverbesserern der Wirtschaft vor, sie kümmere sich nicht oder zu wenig um Umweltschutz, Ressourcenschonung und die Schöpfung. Auch hier war der Ruf nach mehr Staat unüberhörbar und traf dort auf eine willige Gefolgschaft. 

Die Folge solcher Ansprüche an den Staat ist zwangsläufig, dass Wirtschaft und Gesellschaft mehr und mehr politisiert werden. Dies geschieht durch ein immer dichteres Netz aus Normen, Vorschriften und Kontrollen, das über den privaten Bereich gelegt wird. Im Ergebnis ist es dann nicht mehr die unsichtbare Hand des Marktes, die das Geschehen lenkt, sondern die unübersehbare öffentliche Gewalt, die auch das private Leben reglementiert.

  1. Bankenregulierung

Seit Gründung der Bundesrepublik gehörte das Bekenntnis zur „Sozialen Marktwirtschaft“ - schon zur Abgrenzung gegenüber der sozialistischen Planwirtschaft in der DDR - zu den grundlegenden Bekenntnissen jeder von der Union geführten Bundesregierung. Als jedoch 2008 infolge der internationalen Bankenkrise auch deutsche Banken ins Straucheln gerieten, bekam dieses Bekenntnis deutliche Risse.

Nach der Pleite von Lehman Brothers im September 2008 war die Hypo Real Estate (HRE) die erste Bank in Deutschland, die zu kollabieren drohte. Es musste deshalb eilig an einer „nationalen Lösung“ gearbeitet werden, wobei Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) zusammen mit der Bundeskanzlerin das Krisenmanagement übernahmen. Schon die Rettung der HRE kostete den Bund 50 Mrd. Euro.

Beunruhigende Nachrichten gab es auch von weiteren Banken. Daraufhin traten Angela Merkel und Peer Steinbrück am 5. Oktober 2008 gemeinsam vor die Presse und garantierten den Sparern, dass ihre Einlagen sicher sind – ein Versprechen, das der Bund niemals hätte einhalten können. Damit sollte einem Ansturm auf die Banken vorgebeugt werden, für den es aber keine Anhaltspunkte gab. 

Außerdem organisierte Steinbrück einen Bankenrettungsfonds (Volumen 500 Mrd. Euro), weil der Chef der Deutschen Bank, Josef Ackermann, sagte. „Leider gibt es ohne den Staat keine Lösung.“ Es waren vor allem in Schwierigkeiten geratene Landesbanken, aber auch Geschäftsbanken wie die Commerzbank oder die IKB Deutsche Industriebank, die diesen Fonds in Anspruch nahmen.

Der Zusammenbruch der Banken und ihre Rettung nach dem Motto „to big to fail“ wurde in den Medien und von Politikern nicht nur als das Scheitern einer Bank, sondern als das Ereignis einer Zeitenwende interpretiert. „Das ist ein Epochenbruch: das Scheitern der neoliberalen Verheißung, das Ende des Glaubens an den selbstregulierenden, klugen, lernfähigen, Wohlstand schaffenden Markt“, hieß es in der Zeitschrift Stern.  

Andrea Nahles (SPD), die spätere Sozial- und Arbeitsministerin, stimmte mit ein: „Sicher ist, dass wir eine Renaissance von Politik erleben. Vielleicht auch eine Renaissance von sozialer, regulierter Marktwirtschaft. Wir haben jetzt ein paar Argumente mehr, warum ein starker Staat notwendig ist.“ Und Norbert Röttgen (CDU) sekundierte: „Die Globalisierung führt nicht zur Ohnmacht der Politik, sondern im Gegenteil zu einer Renaissance von Politik.“

In Berlin sah man damals viele zufriedene Gesichte: Beamte und Politiker, die bis dahin als Bremser wirtschaftlichen Wachstums gegolten hatten, wurden zu Hoffnungsträgern und Rettern in der Not. Die Krise war „die ideale Situation für die Politik“, resumierte der Journalist Dirk Kurbjuweit. Das „Primat der Politik“ konnte wiederhergestellt werden.

Auch Angela Merkel ließ sich von dieser Welle mitreißen und verkündete, künftig auf den Finanzmärkten „alle Marktteilnehmer, alle Produkte und alle Märkte wirklich überwachen und regulieren“ zu wollen, so wie es der G20-Finanzgipfel gefordert hatte. Dem Staat wurde wieder alles zugetraut.

In den USA, wo die Krise herkam, sah man das nicht so und beließ den Banken den benötigten Handlungsspielraum. Das hielt allerdings Politiker und Parteien in Deutschland nicht davon ab, in Sachen Bankenregulierung besonders aktiv zu werden. So mahnte Angela Merkel im Hinblick auf die bevorstehende Bundestagswahl 2013 zur Eile: „Wir können nicht zufrieden sein.“ Denn die SPD-Fraktion im Bundestag hatte bereits ein umfängliches Regulierungspapier unter dem Titel „Ein neuer Anlauf zur Bändigung der Finanzmärkte“ vorgelegt. Da wollte die Bundeskanzlerin nicht zurückstehen.  

Das Ergebnis dieses Regulierungswettbewerbs der Parteien war ein unaufhaltbarer Strom von Vorschlägen, EU-Richtlinien, nationalen Gesetzen und Verordnungen, mit denen die deutschen Banken zulasten ihrer Handlungsfähigkeit reguliert wurden. Die wirklich „heißen“ Themen wurden aber nicht wirklich angefasst, so dass das deutsche Finanzsystem keineswegs stabiler geworden ist. Dies beweisen schon die Skandale im Zusammenhang mit den Cum-Ex-Geschäften und der Wirecard-Bank. Die Überregulierung ist zudem einer der Gründe, warum die deutschen Banken gegenüber den amerikanischen Banken hoffnungslos zurückgefallen sind.  

  1. Bruch des Maastricht-Vertrages

Seit den Zeiten von Ludwig Erhard gehörte die Ordnungspolitik zu den Kernbestandteilen der deutschen Wirtschaftspolitik. Dazu zählte auch der Grundsatz, dass Verträge verbindlich sind, sowohl im privaten als auch im öffentlichen Bereich („pacta sunt servanda“).   

Auch für den Vertrag von Maastricht vom 1. November 1993, mit dem die späteren Euro-Staaten die Grundlagen für die Einführung des Euro festlegten, gilt der Grundsatz, dass Verträge verbindlich sind. Denn mit dem Vertrag verzichtete Deutschland auf die stabile Deutsche Mark (DM), um die europäische Integration laut Helmuth Kohl unumkehrbar zu machen. Dafür sicherten die Vertragspartner der deutschen Seite zu, die deutsche Stabilitätskultur („Preisstabilität als Ziel einer unabhängigen Notenbank“) für den Euro zu übernehmen.  

Als Bestandteil der neuen Währungsordnung wurden mit dem Maastricht-Vertrag zudem „fiskalische Regeln“ für die Haushaltsführung und Schuldenpolitik der Mitgliedsstaaten vereinbart. Allen Mitgliedsstaaten wurde verboten, bei der EZB oder den nationalen Notenbanken Kredite aufzunehmen (Verbot der monetären Staatsfinanzierung). Auch die Haftung der Gemeinschaft oder der Mitgliedsstaaten für die Schulden anderer Staaten wurde generell ausgeschlossen (Beistandsverbot). Haushaltsdefizite der Mitgliedsstaaten wurden auf 3 Prozent und die Gesamtverschuldung auf 60 Prozent begrenzt.   Für die Mitgliedsstaaten der EU sollte also ausnahmslos das „Prinzip der finanziellen Eigenverantwortung“ gelten.

Vor allem für Politiker im Süden Europas war dies eine grundlegend neue Situation. Jahrzehntelang hatten sie eine expansive Haushalts- und Geldpolitik betrieben, ohne sich um die Finanzierung der staatlichen Defizite kümmern zu müssen. Denn diese Aufgabe erledigten die nationalen Notenbanken, indem sie den Regierungen die benötigten Kredite gaben oder Staatsanleihen kauften. Nach Einführung des Euro hatten die Euro-Mitglieder diese Möglichkeit nicht mehr – jedenfalls solange sie sich vertragsgemäß verhielten, wovon die Regierung von Helmut Kohl bei Abschluss des Vertrages ausging.

Fast ein Jahrzehnt lang funktionierte die Europäische Währungsunion auch ohne erkennbare Krisen. Der Euro entwickelte sich zur zweitwichtigsten Reservewährung, und der europäische Finanzmarkt wuchs mehr und mehr zusammen. Außerdem sanken die Zinsen in den südlichen Ländern Europas auf deutsches Niveau, was als zunehmende Konvergenz der Volkswirtschaften gedeutet wurde.  Es schien, als hätte der Euro die Nachfolge der starken D-Mark angetreten.

Doch die wirtschaftskulturellen Mentalitäten in den südeuropäischen Ländern und ihre politischen Strukturen blieben dieselben und änderten sich mit der Einführung des Euro nicht. Infolge der niedrigen Zinsen stiegen die staatlichen Haushaltsdefizite und privaten Schulden, wobei die aufgenommenen Gelder nur selten produktiv verwendet wurden. Der überwiegende Teil floss in den privaten oder öffentlichen Konsum, in unrentable Immobilien oder nutzlose Infrastrukturvorhaben. Den gewaltigsten Bauboom erlebte Spanien. Dass hier Blasen und Klumpenrisiken entstanden, blieb weitgehend unbeachtet. Die Annahme der Euro-Befürworter, dass eine einheitliche Währung automatisch auch zu einer Angleichung der realwirtschaftlichen Verhältnisse (Konvergenz) führt, stellte sich als falsch heraus.  

Der erste Krisenfall wurde Griechenland, als die Regierung Ende 2009 wachsende Haushaltsdefizite bekannt gab und die Zinsen für griechische Staatsanleihen stiegen. Wolfgang Schäuble (CDU) erklärte daraufhin unter Bezugnahme auf den Maastricht-Vertrag: „Die Griechen haben jahrelang über ihre Verhältnisse gelebt. Wir Deutschen können nicht für Griechenlands Probleme zahlen.“ Auch Angela Merkel weigerte sich anfangs, Griechenland finanzielle Hilfe in Aussicht zu stellen. Selbst die EZB wollte hart bleiben, wie der EZB-Chefvolkswirt Jürgen Stark Anfang 2010 betonte: „Die Märkte täuschen sich, wenn sie davon ausgehen, dass andere Mitgliedstaaten in die Brieftasche greifen, um Griechenland zu helfen.“

Es täuschten sich aber nicht die Märkte, sondern die Politik. Schon wenige Wochen später versprach Angela Merkel dem griechischen Staatspräsidenten bei seinem Besuch in Berlin, dass seinem Land auf europäischer Ebene geholfen würde. Daraufhin beschlossen die Euro-Finanzminister am 2. Mai 2010 umfangreiche Finanzhilfen in Höhe von 110 Mrd. für Griechenland; davon entfielen 30 Mrd. Euro auf den IWF. Im Bundestag warb die Bundeskanzlerin für diese vertragswidrigen Hilfen mit den Worten: „Bei der Entscheidung geht es um den Erhalt der Währungsunion.“

Nur wenige Tage nach der Entscheidung der Hilfe für Griechenland stiegen auch die Zinsen für portugiesische und spanische Staatsanleihen. Daraufhin trafen sich die Regierungs- und Staatschefs der Euroländer am 7. Mai in Brüssel zu einer Krisensitzung, um über die neue Lage zu beraten. Auf dieser Sitzung wurde auf Vorschlag der Franzosen beschlossen, dass ein Rettungsschirm aufgespannt werden sollte, der Gelder an Krisenländer verteilt kann, „ohne dass irgendjemand von uns zu Hause um parlamentarische Zustimmung bitten muss“ (Nicolas Sarkozy). Auf dieser Grundlage wurde der erste europäische Rettungsschirm EFSM über 500 Mrd. Euro beschlossen. Allen war bewusst, dass mit dieser Entscheidung das im Maastricht-Vertrag verankerte Beistandsverbot („No-bail-out-Klausel“) ausgehebelt wurde.

Aber damit nicht genug: Auf Vorschlag der Franzosen wurde zudem beschlossen, dass die EZB das Recht haben und notfalls gezwungen werden müsse, griechische, spanische und portugiesische Staatsanleihen anzukaufen. Denn nur so würden die Zinsen wieder sinken. Dies war ein offener Angriff auf die Unabhängigkeit der EZB, den Angela Merkel unterstützte: „Wir haben völliges Vertrauen, dass sie tun werden, was Sie tun müssen“, sagte sie zum EZB-Präsidenten Jean-Claude Trichet. Außerdem verstießen die Eurostaaten mit ihrem Verlangen an die EZB, Staatspapiere aufzukaufen, gegen das Verbot der monetären Staatsfinanzierung.

Der Öffentlichkeit erklärte Nicolas Sarkosy später, die in der Sitzung gefassten Beschlüsse gingen „zu 85 Prozent auf französische Vorstellungen zurück“. Das war nicht übertrieben: Die Franzosen hatten es geschafft, mit Zustimmung der der übrigen Eurostaaten und einer überforderten Bundeskanzlerin wesentliche Grundpfeiler des Maastricht-Vertrages abzuräumen, nämlich das Beistandsverbot, das Verbot der monetären Staatsfinanzierung sowie indirekt auch die Defizit- und Verschuldensgrenzen. Das waren just die drei Säulen, die von deutscher Seite in den Vertrag hineinverhandelt worden waren, damit die deutsche Stabilitätskultur mit der Einführung des Euro nicht untergeht. Der Weg  in die europäische Schuldenunion war eröffnet.

  1. Wege in die europäische Schuldenunion

Schon drei Tage nach dem Treffen der Staats- und Regierungschefs in Brüssel gab Jean-Claude Trichet bekannt, dass die EZB griechische, spanische und portugiesische Staatsanleihen ankaufen werde, um diesen Ländern die Haushaltsfinanzierung zu niedrigen Zinsen zu ermöglichen. Flankiert wurde diese Maßnahme durch den Euro-Rettungsfonds, auf den sich die EU-Finanzminister einen Tag zuvor in Brüssel geeinigt hatten.

Was die Staat- und Regierungschefs verabredet hatten, blieb nicht auf die Finanzkrise 2010 beschränkt, sondern wurde das Grundmuster für Hilfsmaßnahmen der EU, das in den folgenden Jahren immer wieder genutzt wurde, um die Finanzmärkte zu beruhigen. Neben der Absenkung des Leitzinses auf nahezu null Prozent sorgte die EZB vor allem mit dem Kauf von Staatsanleihen dafür, dass die Zinsen niedrig blieben und die Staaten sich billig finanzieren konnten. Gleichzeitig sprang auch die EU ein, wenn Euro-Staaten in Not waren, ihre Ausgaben zu finanzieren. Dazu diente insbesondere der in der Finanzkrise geschaffene Rettungsschirm, der heute ESM heißt.  

Der Italiener Mario Draghi, Nachfolger von Jean-Claude Trichet als EZB-Präsident, trieb den Ankauf von Staatsanleihen auf die Spitze. Am 26. Juli 2012 versprach er den Finanzmärkten in Abstimmung mit der deutschen und französischen Regierung: „Within our mandate, the ECB is ready to do whatever it takes to preserve the euro. And believe me, it will be enough.“ Jetzt wussten die Finanzmärkte endgültig, dass der Erwerb von Staatsanleihen für sie ohne Risiko war, weil die EZB sie unbegrenzt ankaufen würde. Und von den Krisenstaaten war der Druck genommen, ihre Haushalte in Ordnung zu bringen oder unliebsame Strukturreformen zur Belebung des Wirtschaftswachstums durchzuführen.  

Es blieb nicht bei der Ankündigung von Draghi: Die EZB beschloss am 22. Januar 2015 ein Kaufprogramm für Anleihen über mindestens 1,14 Billion Euro. Der Beschluss sah vor, dass monatlich öffentliche und private Anleihen im Volumen von 60 Mrd. Euro angekauft wurden. Für Jürgen Stark, den früheren Chefvolkswirt der EZB, handelt es sich bei dem systematischen Kauf von Staatsanleihen ökonomisch „um monetäre Staatsfinanzierung“, die der EZB verboten ist. Doch solche Bedenken nimmt niemand mehr erst. Die Euro-Staaten akzeptieren auch, dass die EZB ihre Bilanz mit den Anleihekäufen auf etwa 50 Prozent der Wirtschaftsleistung des Euroraumes aufgebläht hat.

Seit 2008 ist die Zentralbank-Geldmenge von 900 Milliarden auf sechs Billionen Euro gestiegen. Das neu geschaffene Geld wurde benutzt, um die Gewinne der Unternehmen, die Einkommen der Arbeitnehmer und Staatsbediensteten sowie die Sozialtransfers trotz der Wirtschaftsflaute zu stützen. Die damit verbundene Inflationsgefahr blendet die EZB konsequent aus, obgleich sie sich in den Vermögenspreisen schon deutlich zeigt. „Das ist alles andere als eine solide Geldpolitik, die dem Geist des Maastrichter Vertrages verpflichtet ist“, kritisiert der frühere Ifo-Präsident Hans Werner-Sinn.

Der EU-Kommission ist die Finanzierung ihrer Ausgaben über eine Anleihefinanzierung bisher verboten, weil Artikel 310 des EU-Vertrages vorschreibt, dass „der Haushaltsplan in Einnahmen und Ausgaben auszugleichen ist“. Zu den Einnahmen gehören die nationalen Beiträge der Mitgliedsländer und in geringem Umfang Eigenmittel, nicht aber Kredite oder Anleihen. Der EU ist es also grundsätzlich verboten, ihre Ausgaben über Kredite oder Anleihen, wie z.B. Euro-Bonds zu finanzieren.

Trotz dieses Verbotes kündigten Angela Merkel und der Französische Präsident Emmanuel Macron im Jahr 2020 gemeinsam an, einen „Fonds zur wirtschaftlichen Erholung auf EU-Ebene für Solidarität und Wachstum“ schaffen zu wollen, um den von der Corona-Pandemie besonders betroffenen Regionen zu helfen. Der Fonds im Volumen von 500 Mrd. Euro soll nicht – und das war das grundsätzlich Neue – über den regulären EU-Haushalt, sondern durch Anleihen der EU-Kommission finanziert werden. Außerdem ist vorgesehen, dass der größte Teil des Geldes den Mitgliedsstaaten nicht als rückzahlbarer Kredit, sondern als verlorener Zuschuss gegeben werden soll.

Dieser mit der EU-Kommission abgestimmte Vorstoß ist inzwischen dahin erweitert worden, dass der Fonds ein Volumen von 750 Mrd. Euro haben soll, wovon 500 Mrd. Euro als verlorene Zuschüsse gegeben werden. Die Mittel sollen neben der Corona-Hilfe vor allem für Zwecke der Klimapolitik und der Digitalisierung eingesetzt werden. Der Weg in die europäische Schuldenunion ist damit endgültig frei gemacht worden: Nach Ankündigungen der EU-Kommission soll es sich bei der Anleihefinanzierung nicht um einen einmaligen Fall handeln.  

Das Verbot, den Haushalt über Anleihen zu finanzieren, soll wie beim Rettungsfonds ESM dadurch umgangen werden, dass der Fonds nicht Teil des regulären EU-Haushalts wird, sondern eine eigene Rechtsgrundlage erhält. Die am Kapitalmarkt aufgenommenen Anleihen müssen jedoch zu zwei Dritteln über den EU-Haushalt zurückgezahlt werden, wozu die EU entweder höhere Beiträge der Mitgliedstaaten oder zusätzliche Steuereinnahmen benötigt. In jedem Fall sind sie Schulden, für die die Mitgliedstaaten zukünftig eintreten müssen. 

Schon 2020 ist die durchschnittliche Staatsverschuldung in der Euro-Zone auf 101,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gestiegen. Spitzenreiter ist Griechenland mit 207,1 Prozent; es folgen Italien mit 159,6 Prozent, Spanien mit 120,3 Prozent und Frankreich mit 115,9 Prozent. Niemand rechnet mehr damit, dass diese Schulden regulär getilgt werden. Vielmehr ist davon auszugehen, dass ein Schuldenschnitt unausweichlich wird, der in erster Linie die EZB belasteten wird.  

Mit ihrer Zustimmung zu einem durch Anleihen finanzierten Hilfsfonds der EU hat die Bundeskanzlerin wieder einmal eine spektakuläre Kehrtwende hingelegt. Jahrzehntelang hat die CDU vor einer „Schuldenunion“ gewarnt. Doch das ist Schnee von gestern. Kritik an dem Alleingang der Kanzlerin hat es weder in der CDU-Fraktion noch in der Parteiführung gegeben. Offensichtlich herrscht die Meinung vor, dass gemeinschaftliche Schulden schon deshalb nützlich sind, weil sie der EU-Kommission neue Handlungsmöglichkeiten erschließen.

  1. Planwirtschaftliche Energie- und Klimapolitik

Schon als Umweltministerin in der Regierung von Helmut Kohl hatte Angela Merkel den Auftrag, Deutschland auf schärfere Klimaziele einzuschwören. In ihrem ersten Amtsjahr (1995) beschloss der Weltklimagipfel in Berlin feste Fristen für die Senkung der CO2-Emissionen. Zwei Jahre später unterzeichnete sie im japanischen Kyoto das gleichnamige Abkommen, in dem sich die Europäer verpflichteten, ihre CO2-Emissionen zu senken. „Kein Grund zum Jubeln, aber ein Fortschritt“, lautete ihr damaliger Kommentar. Bei dieser Politik wurde sie von einer Gruppe ehrgeiziger CDU-Politiker unterstützt, die als „Pizza-Connection“ bekannt geworden ist. Dazu gehörten beispielsweise die Bundestagsabgeordneten Ronald Pofalla, Hermann Gröhe, Armin Laschet, Norbert Röttgen und Peter Altmeier.

Als dann Gerhard Schröder 1998 mit einer rot-grünen Koalition Bundeskanzler wurde, hielt sich die Regierung nicht mehr mit Absichtserklärungen auf, sondern machte Nägel mit Köpfen: Mit dem „Atomkonsens“ und dem „EEG-Gesetz“ wurden zwei Gesetzesvorhaben auf den Weg gebracht, die die Energie- und Klimapolitik bis heute prägen. Der mit den Kraftwerksbetreibern vereinbarte Atomkonsens vom 14. Juni 2000 begrenzte die Laufzeiten der vorhandenen 19 Reaktoren auf jeweils 32 Jahre ab Betriebsbeginn. Der Ausstieg konnte flexibel gehandhabt werden, weil die Laufzeiten in Strommengen umgerechnet und nicht erzeugte Mengen umgeschichtet werden konnten.

Mit dem „Erneuerbare Energien Gesetz“ (EEG) vom 1. April 2000 verfolgte die Regierung das Ziel, die Stromerzeugung langfristig auf regenerative Energien, insbesondere Wind- und Solarenergie, umzustellen. Dazu enthielt das Gesetz die Verpflichtung der Netzbetreiber, den erzeugten Ökostrom vorrangig einzuspeisen und den Erzeugern für einen Zeitraum von 20 Jahren feste Vergütungen zu zahlen. Im Gegenzug erhielten die Netzbetreiber das Recht, die für den regenerativen Strom gezahlten Vergütungen (abzüglich erzielter Erlöse) als EEG-Umlage an die Stromverbraucher weiter zu berechnen.

Die CDU, deren Vorsitz Angela Merkel im April 2000 übernommen hatte, wurde von diesen Vorhaben überrascht und reagierte bei den Beratungen im Bundestag zwiespältig: Einerseits begrüßte man die Zielsetzung des Gesetzes und den Vorrang der erneuerbaren Energien; andererseits rügten Abgeordnete das vorgesehene Vergütungssystem, das „mit marktwirtschaftlichen Grundsätzen wenig vereinbar“ wäre. Zum Ausstieg aus der Atomkraft kündigte die Union an, diesen bei einem Machtwechsel zurücknehmen zu wollen.

Als dann Angela Merkel im Jahr 2005 mit einer schwarz-roten Koalition Bundeskanzlerin wurde, stellte sie weder den Atomausstieg noch das EEG-Gesetz infrage. Im Gegenteil machte sie die Themen Energie und Klima zu ihrem ganz persönlichen Anliegen: Während ihrer EU-Ratspräsidentschaft im Jahr 2007 kündigte sie unter viel Beifall an, Europa zum Vorreiter beim Klimaschutz zu machen, und stimmte zu, als die EU die für die deutsche Autoindustrie viel zu hohen CO2-Grenzwerte festsetzte. Anschließend flog sie mit Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD) nach Grönland, um sich vor Eisbären fotografieren zu lassen. Damit war die Klimakanzlerin geboren.

Angela Merkel ist in Sachen Klimapolitik eine Überzeugungstäterin: Sie und ihre Regierung folgen den Ratschlägen der Klimaforscher des „Weltklimarates“ (IPCC) und des von ihr installierten „Wissenschaftlichen Beirat Globale Umweltveränderung“ (WBGU), die davon überzeugt sind, dass der Menschheit eine Klimakatastrophe droht, wenn die Erderwärmung infolge von CO2-Emissionen über 1,5 Grad steigt. Nur mit einer „Großen Transformation der Gesellschaft“ könne das noch verhindert werde. Dazu müsse sich alles verändern, „nicht nur Produktions- und Konsumgewohnheiten, sondern auch Anreizsysteme, Institutionen, normative Maximen und Wissenschaftsdisziplinen“, empfiehlt der wissenschaftliche Beirat. Erforderlich sei ein „gestaltender Staat“, der sich notfalls auch „gegen demokratische Mehrheiten“ durchsetzen müsse.

Es gibt inzwischen ein wachsendes Lager von Kritikern der behaupteten Kausalität zwischen dem C02-Aussstoß und der Erderwärmung. Jüngst hat ein globales Netzwerk von mehr als 500-Experten und Wissenschaftlern dem Weltklimarat in einem offenen Brief an den UNO Generalsekretär widersprochen. Nach ihrer Meinung gibt es den behaupteten Klimanotfall nicht. Es sei deshalb unverantwortlich und unklug, die Verschwendung von Billionen auf der Grundlage unreifer Computer-Modelle zu befürworten.

Es kennzeichnet die Situation in Deutschland, dass zu den Unterzeichnern dieses offenen Briefes nur 14 Deutsche gehören. Die Erklärung des Weltwirtschaftsrates zum Klimawandel gehört in Deutschland seit der Kanzlerschaft von Angela Merkel zur Staatsraison, die nicht in Frage gestellt werden darf. Denn ohne sie würde der Klimaschutzpolitik, wie sie unter der rot-grünen Regierung begonnen und von Angela Merkel fortgeführt wurde, der Boden entzogen Dies kann und wird die Klimakanzlerin Angela Merkel niemals zulassen.

Es war dann die „Fukushima-Katastrophe“, die Angela Merkel erstmals die Chance bot, ihrem Anspruch als Klimakanzlerin auch tatsächlich gerecht zu werden. Denn bei der Regierungsbildung mit der FDP im Jahr 2009 hatte sie einwilligen müssen, dass die im Atomkonsens geregelten Laufzeiten für Kernkraftwerke verlängert wurden, um keine Lücke bei der Stromversorgung entstehen zu lassen. Angela Merkel zögerte lange, bis sie unter Protest des linken und grünen Lagers die im Koalitionsvertrag mit der FDP vereinbarte Verlängerung der Laufzeiten für Atomkraftwerke um zwölf Jahre tatsächlich umsetzte. Weil die Leitungsnetze fehlten, seien die erneuerbare Energien vorher nicht in der Lage, die Stromversorgung verlässlich zu übernehmen, argumentierte die Kanzlerin.  

Doch nur wenige Monate später, am 11. März 2011, explodierte das japanische Kernkraftwerk Fukushima aufgrund eines Erdbebens mit nachfolgendem Tsunami. Diesen Vorgang nahm Angela Merkel zum Anlass, ohne demokratische Legitimation die jüngst beschlossene Verlängerung der Laufzeiten für Kernkraftwerke „auszusetzen“ und sieben ältere Kraftwerke im Rahmen eines Moratoriums sofort „vom Netz“ zu nehmen, d.h. stillzulegen. „Ich habe eine neue Bewertung vorgenommen und meine Haltung zur Kernenergie verändert“, sagte sie zur Begründung ihrer Entscheidung. Tatsächlich ging es ihr jedoch darum, die Wähler in Baden-Württemberg kurz vor der Landtagswahl mit einer Entscheidung gegen die Atomkraft zu beeindrucken.

In verfassungsrechtlicher Hinsicht vertrat sie die Meinung: „Ich glaube, dass wir keine Gesetzesänderung brauchen“. Diese Einschätzung musste sie aber schon bald ändern, als Verfassungsrechtler ihr erklärten, dass das Unglück in Japan an der Sicherheitslage für deutsche Kraftwerke nichts verändert hatte. Der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts Hans-Jürgen Papier bezeichnete das Moratorium ausdrücklich als eine „illegale Maßnahme“. Ein Gesetz aussetzen könne nur das Bundesverfassungsgericht, aber nicht die Bundesregierung. 

Zeitgleich mit dem beschleunigten Atomausstieg beschloss der Deutsche Bundestag am 20. Juni 2011 ein umfangreiches Paket von Gesetzen, mit denen die Ausbauziele des EEG und die Vergütungsätze für die erneuerbaren Energien fortgeschrieben wurden. Ziel war es, den Ausbau der erneuerbaren Energien zu forcieren, um Lücken in der Stromversorgung zu vermeiden. Bis spätestens 2020 sollte der Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung auf 35 Prozent steigen, dann auf 50 Prozent bis 2030 und schließlich auf mindestens 80 Prozent bis 2050.

In den Parteien, den Medien und der Öffentlichkeit fand Angela Merkel für ihr Vorgehen viel Zustimmung. Auch in der Union war nirgends der Wunsch zu spüren, über den neuen Kurs der Bundesregierung eine grundsätzliche Debatte zu führen. Angela Merkel fühlte sich deshalb ermuntert, den einmal eingeschlagenen Weg, die fossilen Energieträger zu verbieten und durch alternative Energien zu ersetzen, konsequent weiterzugehen. Nichts konnte sie mehr aufhalten, auch ein mögliches Scheitern nicht.

Hinter der Energiewende verbirgt sich eine Blaupause für die zukünftige Stromversorgung in Deutschland, die folgendermaßen aussieht: „Alle Stromerzeugungsanlagen, die mit Nuklearenergie oder mit Kohleenergie arbeiten, werden stillgelegt und abgerissen. An ihre Stelle treten Anlagen, die Strom aus erneuerbaren Energien (Wind und Sonne) gewinnen und deren Ausbau durch das EEG weiterhin gefördert wird. Gleichzeitig werden die fossilen Heiz- und Treibstoffe durch Verteuerung (CO2-Bepreisung) peu á peu aus dem Markt gedrängt, um die Elektrifizierung des Verkehrs- und Gebäudesektors voranzutreiben. Wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht, springen flexible Gaskraftwerke ein, um den benötigten Strom zu produzieren. Dafür braucht Deutschland die Gasleitung „Nord Stream 2“. Notfalls wird sauberer Atomstrom aus dem Ausland importiert.“

Inzwischen ist auch der Ausstieg aus der Kohle beschlossen worden, der bis zum Jahr 2038 abgeschlossen sein soll. Nach dem Kohleausstiegsgesetz (2020) können sich Betreiber von Steinkohlekraftwerken darauf bewerben, gegen eine Entschädigung abzuschalten. Wer früh vom Netz geht, wird mehr bekommen. Für Braunkohlewerke gibt es einen festen Abschaltplan bis 2038. Der damit verbundene Verlust von Arbeitsplätzen soll durch regionale Strukturhilfen abgemildert werden.

Außerdem hat die Bundesregierung ein neues Klimaschutzprogramm 2030 beschlossen, mit dem die CO2-Zielwerte und die Ausbauziele für Wind- und Fotovoltaikanlagen angehoben wurden: Der Ausbau von Windanlagen an Land, der wegen vieler Proteste ins Stocken geraten ist, soll forciert werden. Gleichzeitig wird ab 1. Januar 2021 die CO2-Bepreisung eingeführt, um Heizöl, Erdgas, Kohle, Benzin und Diesel zu verteuern. Außerdem enthält der Klimaschutzplan Klimaregeln für die Bereiche Verkehr, Gebäude und Landwirtschaft.

Schon das ständige Nachbessern an der Energiewende zeigt, dass ihre Umsetzung in der Realität nicht so verläuft, wie es die Blaupause vorgibt: Sie wird immer komplexer, unübersichtlicher und widersprüchlicher. All die Umlagen, Beihilfen, Befreiungen und Privilegierungen für unzählige Arten und Unterarten von Stromerzeugern überfordern nicht nur die beste Bürokratie, sondern zerstören auch die Funktionsfähigkeit der Strommärkte mit nachteiligen Folgen für die ganze Wirtschaft. Der Grundfehler der Energiewende besteht darin, dass die Regierung sie nicht mit Hilfe der Märkte, sondern mit einem planwirtschaftlichen System umsetzen will.  

Für Elektrizität existieren in Deutschland inzwischen drei Teilmärkte, die nach unterschiedlichen Regeln funktionieren: Für die Erzeugung und Vermarktung des grundlastfähigen Stroms aus Atom, Kohle und Gas gilt ein marktwirtschaftliches Regelwerk. Demgegenüber wird der vom Wetter und der Tageszeit abhängige Strom aus erneuerbaren Energien durch das EEG mit einem Vorrang bei der Einspeisung und einer garantierten Vergütung gefördert. Für größere Projekte gibt es zudem das Ausschreibungsmodell mit besonderen Regularien. Mit solchen Widersprüchen lässt sich eine volkswirtschaftlich sinnvolle Stromversorgung nicht organisieren.

Um das Stromnetz stabil zu halten, muss „grundlastfähiger“ Strom erzeugt werden, wozu die Atom-, Kohle- und Gaskraftwerke in der Lage sind, weil sie rund um die Uhr laufen und der schwankenden Stromnachfrage folgen. Der Strom aus erneuerbaren Energien ist im Unterschied dazu nicht grundlastfähig. Er ist vom Wetter und der Tageszeit abhängig und folgt nicht der Nachfrage. Die Sonnenkollektoren und Windanlagen produzieren Strom, wenn die Sonne scheint oder der Wind weht, egal ob er gebraucht wird oder nicht.

Wenn es an einigen hundert Stunden im Jahr zu viel Öko-Strom gibt, an vielen tausend Stunden zu wenig, ist eine wirtschaftlich sinnvolle Preisbildung für Strom nicht möglich. Dies zeigen die zunehmenden Preisausschläge an der deutschen Strombörse, die bei zu viel Öko-Strom nicht selten negativ sind. Deutschland wechselt mit der Energiewende von einer sicheren in eine unsichere Stromversorgung.  

Die Befürworter der deutschen Energiewende wollen zudem nicht wahrhaben, dass erneuerbare Energien für den Klimaschutz schon deshalb nichts bringen, weil die zulässige Menge an CO2-Emissionen durch das europäische System des Emissionshandel festgelegt wird. Wird in Deutschland durch Windkraft CO2 eingespart, brauchen die fossil betrieben Kraftwerke weniger Emissionsrechte. Die überzähligen Rechte werden verkauft, und die eingesparten CO2-Emissionen finden beim Käufer der Rechte statt. Per Saldo ist der Beitrag des EEG für den Klimaschutz deshalb gleich null und damit überflüssig.

  1. Wohlfahrtsstaatliche Sozialpolitik

Für den Bundestagswahlkampf 2013 war kennzeichnend, dass er sowohl von der Union als auch von der SPD als „Wohlfühlkampagne“ inszeniert wurde. Die Leitidee beider Parteien war die „Gemeinschaft“, nicht das „Individuum“. Der Staat sollte den Schwachen und Benachteiligten in der Gesellschaft helfen, vor allem denjenigen, die mit niedrigen Renten und Löhnen auskommen müssen. Niemand sollte ausgeschlossen werden, damit sich die Gesellschaft nicht weiter spaltete. Eine Politik zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für Wirtschaft und Arbeit hielt man nicht für dringlich. Denn der Wirtschaft ging es angeblich gut.

Was die Parteien dafür politisch tun wollten, war zwischen Union und SPD nicht strittig. Angela Merkel versprach den Wählern bessere Mütterrenten und ein höheres Kindergeld. Peer Steinbrück, der Kanzlerkandidat der SPD, kündigte eine Rente ab 63 und einen gesetzlichen Mindestlohn an. Im Unterschied zu Merkel wollte er aber die Steuern erhöhen, was den Wählern  nicht gefiel. Die Union erhielt 41,5 der Stimmen, die SPD lediglich 25,7 Prozent. Für Angela Merkel und ihren Generalsekretär Herrmann Gröhe war dies ein großer Erfolg.

Die Wirtschaft hatte zunächst die Hoffnung, dass die große Koalition nicht alles umsetzen werde, was die Parteien den Wählern vor der Wahl versprochen hatten. Sehr schnell wurden sie jedoch eines Besseren belehrt. Die große Koalition verständigte sich darauf, dass die Wahlversprechen beider Parteien Regierungsprogramm werden sollten: Die Mütterrente der Union, die von der SPD gewünschte Rente ab 63 Jahren, der von beiden Parteien gewollte Mindestlohn, die Begrenzung der Zeitarbeit, die Frauenquote, Regeln für Werkverträge, die Mietpreisbremse und vieles mehr. Alles wurde Programm der großen Koalition.

„Zehn Millionen Menschen profitieren davon“ triumphierte die neue Sozial- und Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) bei der Vorstellung der Rentenpläne. Ein solches Ausmaß an Leistungserhöhungen war in Deutschland noch nie beschlossen worden. Nach Berechnungen der Stiftung Marktwirtschaft stieg die versteckte Verschuldung des Bundes durch die Rentenerhöhungen schlagartig um 443 Mrd. Euro. Dass sich dadurch die Lasten künftiger Generationen erhöhten, fiel unter den Tisch.

Gleichzeitig vereinbarten Union und SPD umfangreiche und kostenintensive Verbesserungen im Gesundheitswesen und bei der Pflegeversicherung. Mit der Umsetzung dieser Pläne wurde Herrmann Gröhe (CDU) beauftragt, den Angela Merkel für den Wahlkampf 2013 mit dem Posten des Gesundheitsministers belohnt hatte. Gröhe nutzte die hohen Rücklagen für eine massive Erweiterung des Leistungskatalog der Kranken- und Pflegekassen, ohne die langfristige Finanzierung sicherzustellen. Dafür handelte er sich den Ruf ein, „einer der teuersten Gesundheitsminister zu sein, den das Land je hatte“. 

Eine arbeitsmarktpolitische Zäsur war insbesondere der gesetzliche Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro. „Der Mindestlohn schließt eine Gerechtigkeitslücke und sorgt dafür, dass die Menschen einigermaßen anständig bezahlt werden“, erklärte der DGB-Vorsitzende Michael Sommer. Union und SPD folgten den Gewerkschaften auch mit weiteren Maßnahmen zur Regulierung des Arbeitsmarktes: Vereinbart wurden die Erweiterung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes, Maßnahmen gegen den Missbrauch von Werkverträgen sowie die verschärfte Regulierung der Leiharbeit.

Das Mitglied des Sachverständigenrates Lars P. Feld warnte: „CDU/CSU und SPD schicken sich an, in die Vor-Agenda-Zeit zurückzufallen. Das Erreichte droht, verspielt zu werden. Die deutsche Politik hat offenbar vergessen, warum die rot-grünen Reformen der Regierung Schröder in der Steuer-, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik nötig waren.“ Ulrich Grillo appellierte an die neue Bundesregierung, statt einer rückwärtsgewandten Politik einen positiven Zukunftsentwurf vorzulegen: „Rückbesinnung auf die Ordnungsprinzipien der sozialen Marktwirtschaft, weniger statt mehr Einfluss des Staates im Wirtschaftsleben, Fortführung statt Rückabwicklung des Reformkurses am Arbeitsmarkt und in den Sozialsystemen, Steuervereinfachung statt Steuererhöhung und eine dauerhafte Investitionsoffensive. Rein verbale Bekenntnisse zur Marktwirtschaft und Industrie können unseren Erfolg nicht sichern.“ Grillo begründete diesen Appell mit dem Hinweis, dass die von der großen Koalition großzügig beschlossenen Wohltaten auch erwirtschaftet werden müssen. Zu einem Sozialprogramm gehöre deshalb auch ein zukunftsfähiges Wachstumsprogramm. Damit traf er in der großen Koalition auf taube Ohren.

  1. Fiskalische Steuerpolitik

Bis zur Finanz- und Wirtschaftskrise gab es in der Union zur Steuerpolitik einen breiten Konsens:

  • Eine grundlegende Steuerreform ist notwendig, um das Steuerrecht mit niedrigen Steuersätzen und weniger Ausnahmen einfacher und gerechter zu machen.
  • Die Zahl der Steuern ist auf wenige allgemeine und ergiebige Steuern zu begrenzen, im Kern auf die Einkommen- und Körperschaftssteuersteuer sowie auf die Umsatzsteuer.
  •  Die Wettbewerbsfähigkeit und Substanz der deutschen Wirtschaft dürfen durch Steuern nicht gefährdet werden. Die Höhe der Unternehmenssteuern sollte auf internationalem Niveau liegen.
  • Der internationale Steuerwettbewerb ist ein zentrales und unverzichtbares Element, um die Wirtschaft vor zu hohen Steuern zu schützen.

Letztmalig haben CDU und CSU bei der Bundestagswahl 2009 mit einem Steuerprogramm geworben, das auf diesem Konsens beruhte. „Eine richtige Steuerpolitik befördert Wachstum“, lautete die Argumentation. Gedacht war an eine Reform des Steuertarifs, an die Milderung der „kalten Progression“, an eine deutliche Vereinfachung des Steuerrechts sowie die Überprüfung der Mehrwertsteuersätze. Im Koalitionsvertrag mit der FDP wurde vereinbart: „Wir werden dafür sorgen, dass sich Arbeit lohnt, dass den Bürgern mehr Netto vom Bruttoeinkommen bleibt. Das Steuersystem und das Besteuerungsverfahren werden wir deutlich vereinfachen und für die Anwender freundlicher gestalten.“

Nach vier Jahren Regierungszeit waren die Ergebnisse außerordentlich mager. Für die Reform der Einkommensteuer fehlte Wolfgang Schäuble (CDU) als Finanzminister angeblich das Geld, zu groß waren die Risiken, die die Bundesregierung für die Rettung kriselnder Staaten eingegangen war. Für die Reform der Mehrwertsteuer fehlte der Mut, man wollte sich nicht mit den Profiteuren verminderter Steuersätze anlegen. Und bei der Reform der Gewerbesteuer ging Wolfgang Schäuble den Kommunen auf den Leim, die ihm nach der Entlastung bei der Grundsicherung die Gegenleistung bei der Gewerbesteuer verweigerten. Schäuble rechtfertigte seine enttäuschende Bilanz damit, dass die Steuerbelastung in Deutschland so sei, dass sie den Bürgern im Verhältnis zu den Leistungen des Staates akzeptabel erscheine. An die Steuerzahler dachte er dabei offensichtlich nicht.

Das Ergebnis dieser „steuerpolitischen Enthaltsamkeit“ war ein enormes Wachstum der Steuereinnahmen sowie ein starkes Ansteigen der Steuerquote. Während sich die Löhne zwischen 2005 und 2015 nur um 23 Prozent erhöhten, wuchs das Steueraufkommen von Bund, Ländern und Kommunen im gleichen Zeitraum fast um 50 Prozent, d.h. der Steuerzahler wurde mit 220 Mrd. Euro zusätzlich belastet. Betroffen waren insbesondere die Bezieher mittlerer Einkommen, wie das Aufkommen aus der Lohn- und Einkommensteuer zeigt: Es stieg von 2005 bis 2015 um satte 77 Prozent. Die Steuerquote, d.h. das gesamte Steueraufkommen im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt (BIP), kletterte im gleichen Zeitraum von 19,5 auf 23,3 Prozent.

Die Neuorientierung in der Steuerpolitik begann mit der Finanz- und Wirtschaftskrise. Es waren die Linken und die Rechten, die einen stärkeren Staat, mehr öffentliche Leistungen und höhere Steuern, vor allem für Wohlhabende, verlangten. „Der Ruf nach dem ebenso starken wie fürsorglichen Staat ist lauter geworden. Funktionäre fordern mit Macht den ´Primat der Politik´ ein, und ein weit gespanntes Bündnis, das von konservativen Staatsdenkern bis zu sozial geprägten Verteilungspolitikern reicht, betont die Garantiefunktion und damit die Finanzierungsansprüche der staatlichen Träger“, schrieb Wolfgang Schön in der FAZ vom 23. Dezember 2011.

Die vornehmlich von Liberalen geäußerte Kritik an der ständigen Ausweitung öffentlicher Aufgaben und der Staatsausgaben ist seitdem verstummt. Gleichzeitig ist auch die Zeit unbegrenzter Schuldenaufnahme vorbei, nachdem die Staatsschulden in der Krise massiv gestiegen sind. Die grundgesetzliche Schuldenbremse gestattet dem Bund nur noch ein Defizit von 0,35 Prozent des BIP, die Länder dürfen ab 2019 gar keine neuen Schulden aufnehmen.

Wenn Ausgabenkürzungen nicht stattfinden und die weitere Schuldenaufnahme begrenzt ist, führt dies logischerweise zur Ausweitung des Steuerzugriffs. Alternativen gibt es dazu nicht. Explodierendes Wirtschaftswachstum ist langfristig nicht zu erwarten. „Nicht die haushaltsneutrale Steuerreform bildet daher die Forderung des Tages, sondern die Steuerreform, die einen ausgeglichenen Haushalt ins Werk setzt“, ist laut Wolfgang Schön die steuerpolitische Konsequenz.

Weil dem so ist, hat sich weder die Zahl der Steuern verringert noch ist die Steuerlast gesunken. Auch zukünftig ist bei solchen politischen Rahmenbedingungen mit der Abschaffung oder Senkung bestehender Steuern nicht zu rechnen. Die Grunderwerbsteuer ist in allen Ländern drastisch angehoben worden. Alle Bemühungen, die kommunale Gewerbeteuer mit der Einkommen- und Körperschaftssteuer zu verbinden, sind gescheitert. Bei der Grundsteuer steht nur eine Option zur Diskussion, nämlich die Erhöhung der Grundstückswerte. Auch die Neufassung des Erbschaftssteuergesetzes hat zu einer deutlichen Mehrbelastung großer Unternehmen geführt. Selbst die Wiederbelebung der Vermögenssteuer ist nicht vom Tisch.

Auch der ehemalige Grundsatz, dass die Steuerpolitik die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft nicht gefährden darf, tritt immer stärker in den Hintergrund. Der Einfluss der Unternehmensverbände in Berlin hat deutlich nachgelassen. Außerdem hat der Druck des internationalen Steuerwettbewerbs auf die deutsche Steuerpolitik nachgelassen. Die insbesondere von Wolfgang Schäuble forcierten Abstimmungen innerhalb der G20-Staaten und die vielfältigen Initiativen der OECD und der Europäischen Union (EU) haben dazu geführt, dass die Zeiten eines steuerpolitischen „race to the bottom“ vorläufig vorbei sind. Der internationale Steuerwettbewerb ist mehr und mehr durch ein internationales Steuerkartell ersetzt worden, dessen Ziel es ist, das steuerliche Aufkommen zu sichern und zu erhöhen.  

Dies bedeutet, dass sich die Chancen für eine Vereinfachung des Steuerrechts und für Steuersenkungen deutlich verringert haben. Auch das Argument, wonach das komplizierte deutsche Steuerrecht ein nicht zu unterschätzender Nachteil für den Wirtschaftsstandort Deutschland ist, wird daran nichts ändern.  

  1. Vernachlässigte Infrastruktur

Überschriften in den Medien wie „Deutschland steckt im Stau“ oder „Bahn traut sich nur noch 76,5 Prozent Pünktlichkeit zu“ haben die Öffentlichkeit alarmiert. Besorgt wird gefragt, ob die öffentliche Infrastruktur noch zu den Stärken des deutschen Wirtschaftsstandorts gerechnet werden kann.

"Unser Land zehrt von der Substanz“, warnte der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). Während der staatliche Konsum und die monetären Sozialleistungen mächtig gestiegen sind, wurden die Verkehrs- und Kommunikationsnetze vernachlässigt. Denn der Euro kann nur einmal ausgegeben werden: Wer den Sozialkonsum erhöht, muss bei den Zukunftsinvestitionen kürzertreten. Dies sind keine guten Aussichten für die deutsche Volkswirtschaft.

Die Vorhaltung der Verkehrsinfrastruktur gehört in Deutschland traditionell zur öffentlichen Daseinsvorsorge, die der Staat plant und finanziert. Sie schafft die Voraussetzungen für „Mobilität“, ohne die eine arbeitsteilige Industriegesellschaft nicht funktioniert. Ein gutes Angebot öffentlicher Einrichtungen und Dienstleistungen verbessert die „produktive Atmosphäre“ einer Volkswirtschaft, senkt die Produktionskosten der Betriebe und stimuliert private Investitionen. Eine mangelhafte Infrastrukturausstattung wirkt dagegen als Wachstumsbremse: Privatwirtschaftliche Aktivitäten sind nicht oder nur zu höheren Kosten möglich.

Den wirtschaftlichen Vorteilen, die mit der Verkehrsinfrastruktur und der Mobilität verbunden sind, stehen häufig Nachteile für Umwelt, Klima und Gesundheit gegenüber. Umweltverbände und grüne Parteien fordern deshalb, den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur zu drosseln, den Verkehr von der Straße auf die Schiene zu bringen und den Verbrennungsmotor durch die E-Mobilität zu ersetzen. Das Problem sind nicht die Forderungen an sich, wohl aber die Ungeduld und das Maß, mit denen Umweltverbände und Politiker sie umsetzen wollen. Zudem fehlt solchen Forderungen regelmäßig eine Folgenabschätzung für Arbeitsplätze und wirtschaftliche Entwicklung. Auch in der Verkehrspolitik hat sich inzwischen das „Primat der Politik“ durchgesetzt.

Mit 13.000 km Autobahnen, 230.800 km Straßen, 37.700 km Schienen und 7.700 km Bundeswasserstraßen sowie zahlreichen Flug-, See- und Binnenhäfen verfügt Deutschland über ein dichtes Verkehrsnetz. Die zentrale Frage ist jedoch, ob die Verkehrsinfrastruktur ausreicht, um dem gegenwärtigen und zukünftigen Verkehrsaufkommen zu genügen. Für die Autobahnen und Straßen muss diese Frage schon heute mit einem klaren „Nein“ beantwortet werden.

Ein untrügliches Zeichen dafür sind die steigende Anzahl von Verkehrstaus und ihre zunehmende Länge. Als wichtigste Gründe nennt der ADAC die Zunahme des Verkehrs sowie die Zahl der Baustellen. Für die Volkswirtschaft werden die Staus zu einem immer größer werdenden Kostenfaktor. Denn der Stillstand kostet nicht nur Zeit, sondern auch Geld: Der Kraftstoffverbrauch steigt im Stau, Pendler kommen zu spät zur Arbeit, Güter zu spät an ihr Ziel. Und nicht zuletzt steigt die Umweltbelastung. Nach seriösen Schätzungen entsteht durch die Staus ein volkswirtschaftlicher Schaden in Höhe von 60 bis 100 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Für die Bildung gibt die Bundesregierung nur rund 18 Milliarden Euro im Jahr aus.

Die Lösung dieses Problems wäre der Ausbau der Verkehrsinfrastruktur. Doch der Bau neuer Autobahnen und Straßen ist in Deutschland praktisch zum Erliegen gekommen. Dafür wird die Verkehrspolitik der Bundesregierung seit Jahren heftig kritisiert: „Deutschlands Infrastruktur galt immer als Rückgrat der Volkswirtschaft und als Garant für Wohlstand. Doch Straßen, Schienen- und Wasserwege, Energie- und Kommunikationsnetze verkommen. Das Land lebt auf Verschleiß - Experten sprechen von einer Zeitbombe“, schrieb die WELT am Sonntag schon am 12. Mai 2013.

Ein Beispiel dafür ist der Bau der A 20, mit dem im Jahr 1992 in Mecklenburg-Vorpommern begonnen wurde. Es sollte eine leistungsfähige Ost-West-Verbindung von Polen quer durch Norddeutschland bis nach Holland entstehen. Bis kurz vor Bad Segeberg ist die Autobahn seit 2009 fertig und für den Verkehr freigeben. Für die nächsten zwei Bauabschnitte bis Bad Bramstedt gibt es Planfeststellungsbeschlüsse, die aber wegen Klagen von Umweltverbänden geändert werden müssen. Bei den dann folgenden drei Bauabschnitten bis Glückstadt läuft erst der Planungsprozess. Für den letzten Bauabschnitt, der den Elbtunnel betrifft, ist die Planung zwar abgeschlossen, gegen den Planfeststellungsbeschluss wird aber ebenfalls geklagt. 

Statt neue Autobahnen zu bauen, wird an den alten tüchtig repariert und die Bundesregierung hat dafür ihre Ausgaben deutlich erhöht. Doch mit der Bereitstellung zusätzlicher Mittel wurde ein weiteres Problem sichtbar: die bewilligten Mittel können nicht abgerufen werden, weil es an genehmigten und baureifen Verkehrsprojekten fehlt. Parallel zum Rückgang der Verkehrsinvestitionen durch den Bund haben die Länder das Personal in den Planungsabteilungen reduziert. "Als Nadelöhr bei der Umsetzung erweisen sich die unterschiedlich starken Landesbauverwaltungen", sagte der Generalsekretär des CDU-Wirtschaftsrates, Wolfgang Steiger.

Um Zustände wie bei der A 20 zukünftig zu verhindern, hat die Bundesregierung eine Autobahngesellschaft des Bundes gegründet. Sie soll künftig das Planen, Bauen und Finanzieren der deutschen Fernstraßen übernehmen - zumindest bei den Autobahnen. Dies bedeutet aber nicht, dass diese Gesellschaft, die Anfang 2019 ihre Tätigkeit aufnahm, über die Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur entscheiden kann. Dort haben die Politiker weiterhin das Sagen. Gleichwohl meint der neue Geschäftsführer Stephan Krenz optimistisch: „Wenn wir alles richtig machen, werden wir mit der neuen Infrastrukturgesellschaft bessere Autobahnen bekommen. Besser heißt: Straßen in höherer Qualität, effizient und schnell gebaut, mit weniger Engpässen und mit weniger Staus.“

Man sollte die neue Autobahngesellschaft nicht schlecht reden, bevor sie begonnen hat. Doch die Erfahrungen mit der Deutschen Bahn (DB) beweisen, dass Staatsgesellschaften mit komplexen Aufgaben schlecht zurechtkommen. Die Verkehrspolitiker fördern die Deutschen Bahn massiv, um den Verkehr von der Straße auf die Schiene zu bringen. Der Erfolg lässt jedoch zu wünschen übrig.  Im Jahr 2019 waren nur 76,5 Prozent aller Fernzüge der Deutschen Bahn pünktlich. Eine Quote von 81 Prozent hält der Vorstand erst in rund fünf Jahren für möglich, wenn die Bahn viele neue Züge bekommen hat, wenn das Baustellenmanagement verbessert wurde und wenn die vorhandenen Züge schneller aus den Werkstätten wieder aufs Gleis kommen.

An der Unpünktlichkeit der Bahn und ihren Gründen lässt sich ablesen, in welchem Zustand sich das Unternehmen befindet. Dem dafür zuständigen Verkehrsminister, zur Zeit Andreas Scheuer (CSU), fällt dazu immer nur ein, den Vorstand der Deutschen Bahn zum Rapport zu bitten, um sich den jeweils neuen „Maßnahmenplan“ erläutern zu lassen, mit dem Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit und Service der Bahn verbessert werden können. Geholfen hat es nichts.

Der frühere Bahnchef Hartmut Mehdorn, der das Unternehmen zehn Jahre lang bis Mai 2009 führte, um es im Auftrag der Schröder-Regierung an die Börse zu bringen, sagte über den Zustand der Bahn: „Die Bahn hat sich in den letzten zehn Jahren zurückentwickelt – zurück zur Staatsbahn, auf einen Stand wie vor der Bahnreform vor 25 Jahren.“ Einen wesentlichen Grund für die krisenhafte Entwicklung sieht der einstige Bahnchef im Bestreben der Politik, „sich bei der Bahn wieder populistisch einzumischen, ohne das nötige Geld bereitzustellen“.

Die verstärkte Einflussnahme der Politik - bis hin zur Besetzung des Aufsichtsrates mit Politikern - schwäche das Unternehmen, sagte Mehdorn. „Die Deutsche Post, die Deutsche Telekom und die Deutsche Lufthansa sind heute erfolgreich, weil sie privatisiert worden sind – und nicht, obwohl sie privatisiert worden sind.“ Mehdorn bedauerte, dass die derzeitige Bundesregierung die Devise ausgibt, dass es auch beim Fernverkehr nicht um Gewinne, sondern um „Daseinsvorsorge“ gehe. Die Profitabilität sei jedoch der Hebel der Effizienz und damit für eine zuverlässige und pünktliche Bahn. Die sich verschlechternde Unpünktlichkeit im Fernverkehr sei ein Zeichen, dass die Prozesse nicht mehr funktionieren. „Pünktlichkeit kann man nicht befehlen.“

Auch auf dem Weg in die E-Mobilität auf Deutschlands Straßen ist die Politik ins Schleudern geraten. Es ist den Umweltverbänden und den ihnen nahestehenden Politikern zwar gelungen, den Verbrennungsmotor mit immer schärferen CO2-Grenzwerten in Misskredit zu bringen und dadurch das Interesse an der E-Mobilität zu wecken. Die damit verbundenen Auswirkungen auf die deutsche Automobilindustrie wurden aber unterschätzt. Der Chef von Bosch, Volkmar Denner, kritisierte, dass die Politik das technisch Machbare aus den Augen verloren habe: „Ich mache mir als Bosch-Chef wirklich Sorgen, dass das Dreieck aus Ökonomie, Ökologie und sozial-gesellschaftlichen Aspekten aus der Balance gerät. Im Moment beobachte ich eine einseitige Betonung der Ökologie – mit der impliziten Annahme, dass die Wirtschaft das verkraftet. Diese Hypothese müssen wir dringend überprüfen.“

Volkswagen-Chef Herbert Dies hatte schon früher gewarnt: „Aus heutiger Sicht stehen die Chancen vielleicht bei 50:50, dass die deutsche Automobilindustrie in zehn Jahren noch zur Weltspitze gehört.“ Die Autoindustrie habe verstanden, dass die Autos der Zukunft sauber und schadstoffarm fahren müssen. Doch die Vorgaben, die die Politik in Berlin und Brüssel machten, seien von „unbekannter Hast“ bestimmt. „Wenn wir den CO2-Ausstoß unserer Autoflotte bis 2030 um 30 Prozent reduzieren müssen, dann geht das nur mit einem Drittel reiner E-Autos auf den Straßen“, sagte Herbert Dies. Für Deutschland könnten solche Vorgaben die Umweltbilanz wegen des weiterhin hohen Anteils fossiler Energien eher verschlechtern als verbessern.

  1. Unrealistische Industriestrategie

Fortsetzung:  "15 Jahre Merkel´sche Wirtschaftspolitik" (Teil 2)


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